Grabsteine

Grabsteine als historische Quellen

Der alte jüdische Friedhof ist wegen seiner historischen Bedeutung für Stadt und Land als Kulturdenkmal einzustufen. Die Grabsteine (hebräisch Mazewot, Einzahl: Mazewa) erzählen ein Stück Zeitgeschichte ebenso wie die ganz persönlichen Geschichten der hier Bestatteten. Sie versinnbildlichen die Verpflichtung, Verstorbene nicht zu vergessen.
Der jüdischen Tradition entsprechend folgt dem Namen auf dem Grabstein und nach jeder Nennung des Namens, sei es mündlich oder schriftlich, die Abkürzung „sel. A.“. Sie steht für „seligen Angedenkens“ (זיכרונו לברכה, kurz: ז״ל).

Auf der „Schönen Aussicht“ finden sich traditionelle Grabsteine ebenso wie kunstvoll verzierte Exemplare. Sie alle erzählen eine eigene Geschichte. Traditionelle jüdische Grabsteine sind Stelen mit einer hebräischen Inschrift, die eine feste Abfolge aufweist. Nach der Einleitung (zumeist „Hier ruht…“) wird der Name der Verstorbenen genannt. Es folgen Nachruf und Segenswunsch. Der Segenswunsch schließt die Inschrift mit den Worten „Ihre/Seine Seele sei eingebunden in das Bündel des Lebens“ (תהיה נפשו/נפשה צרורה בצרור החיים oder verkürzt ת׳נ׳צ׳ב׳ה׳) ab.
Die Inschrift dient dabei nicht nur der Information, sondern auch der Dekoration. Traditionelle Grabsteine weisen eine besondere formale Schönheit auf, die durch das Schriftbild geschaffen wird. Grabsteindekor gehört ebenfalls zu den Merkmalen jüdischer Grabsteine, wird zumeist aber eher sparsam eingesetzt. Im 19. Jahrhundert treten deutsche Inschriften neben die hebräischen. Zunächst erfolgt nur die Nennung des Namens auf der Rückseite, später dominieren deutschsprachige Inschriften viele Steine, ohne Hebräisch ganz zu verdrängen. An den Grabstätten lässt sich somit die Bindung an jüdische Traditionen ablesen, ebenso wie der Einfluss der nicht-jüdischen Umgebung.

Bei älteren Grabsteinen auf dem Friedhof an der „Schönen Aussicht“ lässt sich feststellen, dass die Inschrift zum Teil nur den Vornamen nennt. Dies ist zum einen darauf zurückzuführen, dass bei einer kleinen Gemeinde, wie sie die Wiesbadener Ende des 18. Jahrhunderts darstellte, die Mitglieder bekannt waren und eine eindeutige Zuordnung durch die Beigabe eines Namenszusatzes nicht notwendig schien. Zum anderen waren Nachnamen, die in der Familie weitergegeben wurden, nach der jüdischen Tradition unüblich. Der Sohn führte zumeist den (Vor-)Namen des Vaters als Namenszusatz. Als Rufname wurde ihm der des Großvaters gegeben. 1842 waren Juden in Nassau veranlasst worden, einen neuen erblichen Zu- bzw. Familiennamen zu tragen.